Der neue gesellschaftliche Antifaschismus
In der letzten Zeit erleben wir eine Verschärfung rassistischer Angriffe von Neonazis und eine außergewöhnliche Mobilisierung aller gesellschaftlichen Kräfte dagegen. Einerseits sind hierfür recht vordergründige Interessen der deutschen Wirtschaft, nämlich die Sorge um den "Standort Deutschland" verantwortlich. Andererseits gibt es bei vielen Menschen eine aufrichtige Ablehnung des faschistischen Terrors und starke Sympathien für die Opfer. Gesellschaftliche Entwicklungen sind immer Ambivalent und Widersprüchlich. Auch in der aktuellen Diskussion um Einwanderung und das Verbot von Naziorganisationen wird dies deutlich.
Nachdem der Versuch, Deutschland als völkisches und rassistisches Projekt zu definieren, mit dem Faschismus einen Höhepunkt erreichte, ist es seit den 60er Jahren ein Einwanderungsland - Wie früher in der Geschichte auch schon. Die Menschen die als sogenannte Gastarbeiter ins Land kamen und ihre Kinder haben trotz Diskriminierung und Ausgrenzung gerade in den Metropolen eine Internationale Normalität geschaffen. Dies ist ein fester Bestandteil der Gesellschaft. Für einen großen Teil der Bevölkerung ist es schlicht Normal mit Menschen aus der Türkei, Osteuropa oder Afrika gemeinsam in der U-Bahn zu sitzen, oder Menschen von anderen Kontinenten als Stars im Fernsehen zu bewundern. Mensch geht wahlweise indisch, italienisch oder Japanisch essen und hört abwechselnd kubanischen Salsa, skandinavischen Pop oder schwarzen Soul. Die Vorstellung hiervon, zu einer irgendwie gearteten deutschen, Völkischen Einheitskultur zurückzukehren, mit Musikantenstadel und Semmelknödel, erscheint vor diesem Hintergrund Absurd. Für die große Mehrheit der Menschen in Deutschland wäre so etwas eine skurrile Schreckensversion. Es scheint daher unmöglich.
Während die Gesellschaft einerseits kulturell wesentlich Toleranter geworden ist, verstärken sich andererseits die Tendenzen von Brutalisierung und Ausgrenzung. Der Kampf Jeder gegen Jeden im Betrieb oder in der Schule wird härter. Es gibt regelrechte Kampagnen, wahlweise gegen sozial Schwache, sogenannte "Sozialschmarotzer", oder gegen nicht integrierte Volksgruppen wie etwa die Kurden und Kurdinnen.
Rassismus und Solidarität sind gleichermaßen in der Mitte der Gesellschaft vorhanden. Einerseits forderte die Mehrheit der Deutschen eine drastische Verschärfung des Asylrechts, andererseits gingen Millionen von Menschen Anfang der 90er Jahre aus Empörung über rassistische Morde auf die Straße. Selbst Abschiebungen in Folterstaaten lösen keinen allgemeinen Schrei der Entrüstung aus, aber immer wieder gibt es antirassistische Initiativen aus integrierten gesellschaftlichen Sektoren. Oft sind es Schulklassen, die sich plötzlich politisieren um die drohende Abschiebung von MitschülerInnen zu verhindern und im Einzelfall große öffentliche Unterstützung erfahren.
Die Gesellschaft und damit das Identifikationsmodell "Nation Deutschland" befindet sich im Umbruch. Weg von der Völkischen Blutsgemeinschaft, hin zum "Unternehmen Deutschland". Staat und Nation werden stärker als soziale Sicherungssysteme und Interessenwahrer im internationalen Konkurrenzkampf angesehen, denn als Ausdruck einer "Stammesgemeinschaft". Die Herkunft von Belegschaft und Management des Standortes Deutschland wird zunehmend unwichtig, was zählt ist der Erfolg! Eine interessante Parallele hierzu im kleinen findet Mensch bei den Fußballvereinen. Sie verstanden sich in der Vergangenheit als eine soziale und kulturelle Einheit von Fans, Spielern und Region oder versuchten dies zumindest noch lange zu suggerieren. Auch heute tragen "Bayern München" oder "Borussia Dortmund" weiter ihre alten Namen, aber die Entwicklung zum reinen Konzern wird weniger verschleiert als früher. Dies ist auch immer schlechter möglich. Die Spieler und damit die Stars und Identifikationsträger kommen oft aus Osteuropa, Afrika oder Südamerika. Sie wechseln beliebig hin und her, je nach Verdienstangebot oder werden von den Vereinen regelrecht verkauft. Mit dem früher gepflegten Lokalpatriotismus ist dies eigentlich unvereinbar.
Die Werte und Muster nach denen Identifikation und Ausgrenzung funktionieren verändern sich. Diese Werte werden maßgeblich von den jeweiligen Eliten beeinflußt und die aktuellen Leitbilder entstammen zu einem großen Teil den multikulturellen, leistungsfähigen Milieus der Informationstechnologie und Medienbranche. Klassische "völkische" Muster spielen in diesen Kreisen eine immer geringere Rolle. Die Yuppies von heute sehen sich als Teil einer globalen Elite innerhalb eines Globalen Systems. Die von den Medien bejubelten Macher, Aktienschieber und Firmengründer der "New Economy" mitsamt ihrem Anhang, Brauchen die Welt als Geschäftsfeld und entstammen gleichzeitig selbst einer veränderten, weltoffeneren und "multikulturellen" Gesellschaft. Farbige oder asiatische Menschen sind in diesen Kreisen als KollegInnen oder Geschäftspartner durchaus Willkommen. Vorausgesetzt natürlich sie entsprechen dem Bild das von den Lifestylemagazinen für uns Alle als verbindlich festgelegt wird. Mensch muß jung sein, Intelligent und Leistungswillig, sein Geld am Computer verdienen, in den üblichen Szenebars verkehren und auch sonst die fade Plastikkultur verkörpern. Die Zugehörigkeit zur "germanischen" und darüber hinaus überhaupt zu irgendeiner "weißen Rasse", verliert demgegenüber in diese Kreisen und damit für breite Schichten rapide an Bedeutung. Wer sich in diese Umgebung integrieren will, für den wird die Hautfarbe ein weit weniger wichtiges Kriterium beim gesellschaftlichen Aufstieg sein als früher. Er wird akzeptiert werden wenn er über die Aktuell nachgefragten Fähigkeiten - das Know how - und die nötige Durchsetzungskraft verfügt.
Abgelehnt werden dagegen Menschen mit geringem Bildungsstand und solche mit ausgeprägten Kulturellen Eigenarten. Wer sich nicht assimilieren will oder dies etwa auf Grund von zu großen sprachlichen Problemen nicht schafft, der bleibt für die Gesellschaft ein Fremder. Dies gilt für die vor Krieg und Unterdrückung geflohenen AlbanerInnen und KurdInnen, die Sinti und Roma aber anders als früher auch für "Landsleute" wie z.B. die Russlanddeutschen. Im Gegensatz etwa zu den Vertriebenen, nach dem Ende der Naziherrschaft, schlägt den Einwanderern aus Kasachstan oder von der Wolga, heute oft Ablehnung entgegen. Verachtung wird ihnen gerade auch von den Nazis entgegengebracht, mit denen die jugendlichen Aussiedler oft in gewalttätige Auseinandersetzungen geraten. Anstatt sich zu integrieren pflegen die Deutschrussen und Russinnen oft ihre alte Kultur und bilden eigene Gemeinschaften. Sie sprechen untereinander oft weiter russisch, konsumieren russische Medien und Produkte und wohnen häufig in bestimmten, benachteiligten Stadtteilen. Ihre soziale Einordnung ähnelt damit stark derjenigen anderer nichtdeutscher Einwanderergruppen. Im Gegensatz zu diesen, verfügen sie aber meist über deutsche Papiere und die entsprechende Staatsangehörigkeit. Es wird jedoch immer schwieriger für sie, diese zu bekommen solange sie sich noch im Gebiet der GUS aufhalten. Die deutschen Vertretungen dort blocken entsprechende Anträge inzwischen massiv ab.
Einwanderung als Notwendigkeit - Die Angst vor dem Fremden und der dieses ausnutzende und verstärkende Rassismus, sind in Deutschland, so wie fast überall auf der Welt äußerst mobilisierungsfähig. Dies zeigte sich in der jüngeren Vergangenheit in der Hetze gegen die Kurden oder in der widerlichen Kampagne der CDU gegen die doppelte Staatsangehörigkeit (die übrigens zum Teil aus deren Schwarzgeldkonten finanziert wurde). Gleichzeitig sind Entwicklungen eingetreten die rassistische Positionen und selbst einflußreiche nationalistische Akteure ins Abseits drängen. So tauchte in der bürgerlichen Presse die Zahl von mehreren hunderttausend EinwandererInnen Jährlich! auf, die Deutschland braucht nur um die Sterberate auszugleichen. Um also die grundsätzlichsten sozialen Funktionen der Gesellschaft, nämlich die Rentenzahlungen oder die Krankenversicherung, trotz Kürzungen überhaupt aufrecht zu erhalten brauchen wir exakt die so lange verteufelte "Ausländerflut". Die einzige rassistische Alternative dazu wäre ein massives Zwangsschwangerschaftsprogramm. Beim aktuellen Trend zum Singlehaushalt, und auch sonst, eine glücklicherweise schwer vorstellbare Möglichkeit. Das typische Klientel der Rechten, der rassistische Rentner, der reaktionäre Kleinbürger kommen hierdurch in die für sie verzwickte Situation, das ihre eigene Existenz nicht mehr von der alten Volksgemeinschaft sondern nur von einer Einwanderungsgesellschaft gesichert werden kann.
Einen wichtigen Schwenk markiert auch die Greencard - Kampagne der SPD Regierung. Jahrzehntelang wurden mit der Konkurrenz zwischen deutschen und eingewanderten Arbeitern und Arbeiterinnen rassistische Vorbehalte geschürt. Kampagnen für die Abschiebung von Menschen dienten in den letzten 20 Jahren dem Machterhalt, insbesondere der Unionsparteien. Auf einmal sollen jetzt Zehntausende von ausländischen Technologiespezialisten angeworben und nach Deutschland hinneingeholt werden. Die politische und wirtschaftlich Elite vollzieht hier eine Kurskorrektur und ist stark bemüht ihre Basis hierfür zu verbreitern. Dies zeigt sich deutlich im verlauf der rechten "Kinder statt Inder"- Debatte. Noch vor einigen Jahren hätte sich wie selbstverständlich diejenige Position durchgesetzt, die eine verstärkte Ausbildung von deutschen Jugendlichen zu Computerspezialisten fordert. Heute sind solche Positionen selbst in der CDU Minoritär und die Notwendigkeit zur Anwerbung ausländischer Spezialisten wird von Niemandem mehr bestritten. Wichtig für diese Entwicklung war der ungeheure Aktienboom in der Internetbranche und die relative Schwäche der deutschen Wirtschaft in dieser Sparte auf dem Weltmarkt. Die explodierenden Gewinne und Kurse die selbst alte Börsianer mit den Augen rollen ließen schufen eine ganz eigentümliche Psychologie. Alle Welt fing auf einmal an Aktien zu kaufen. Alle wollten teilhaben an diesem modernen Goldrausch. Entweder als Aktionär, oder doch wenigstens als Leichtmatrose auf dem Schiff "Unternehmen Deutschland", für den schon irgendwie auch was abfällt, sofern nur allgemein der Kurs stimmt.
Die sehr zögernde Reaktion der ausländischen Fachkräfte, etwa in den indischen Hochtechnologie - Kaderschmieden, die nur mitleidig lächelten wenn von Deutschland die Rede war, verpaßte der nationalen Borniertheit hierzulande einen gesunden Dämpfer! Wie viele Medienberichte zeigen, sind die umworbenen Menschen nicht nur über die mangelnden Erfolgschancen der unterentwickelten deutschen IT-Branche informiert. Sie bemängeln zudem die im Gegensatz etwa zur US-Greencard lumpigen Anwerbeangebote und vor allem zeigen sie sich wohlinformiert über die rassistischen Vorkommnisse in Deutschland. Dies ließ eine Menge einflußreicher Leute sehr unruhig werden! Deutschland droht in einer der wichtigsten Zukunftsbranchen -der Computer und Informationstechnologie- den Anschluß zu verlieren. Und zu einem der schwersten Negativposten des Standortes Deutschland war auf einmal der allgemeine Rassismus geworden, welcher der Gesellschaft hier wie in ausgleichender Gerechtigkeit auf die eigenen Füße fällt. In der nachfolgenden Debatte scheint sich zwischen allen Parteien und institutionellen Kräften, einschließlich der CDU/CSU und der Unternehmerverbände der Konsens herausgebildet zu haben das Deutschland ein Einwanderungsland ist. Die äußerste reaktionäre Extreme darin bildet jene Position die fordert zwischen nützlichen und schädlichen Einwanderern zu unterscheiden. Diese Ansicht wird von bürgerlichen Kreisen scharf kritisiert und als mitverantwortlich für den rassistischen Terror genannt. Das wir aber Einwanderung brauchen, und die Bedingungen hierfür verbessert werden müssen ist allgemeiner Konsens.
Dies ist es was die Nazis und die mit ihnen sympathisierenden kleinbürgerlichen Milieus in Rage bringt. Vorrangig für die Politik ist es auf einmal nicht mehr den "Brüdern und Schwestern" im Osten zu helfen und Arbeitsplätze für Deutsche zu Schaffen. Im Gegenteil ist es heute Nationale Aufgabe Menschen aus anderen Erdteilen anzuwerben. Und sie, die rassistischen Spießer sind auf einmal das Hindernis dafür und damit die Prügelknaben. Die Fremden sollen zudem keineswegs irgendwelchen schmutzigen Hilfsarbeiten verrichten sondern sie werden ein Teil der sich neu formierenden Technologieelite. Während Mensch früher - aus der Sicht der Rassisten - mit den Türkischen und russischen Arbeitsimmigranten wenigstens noch konkurrieren konnte ist man heute gar nicht erst auf dem Markt gefragt. Hierin liegt in Zukunft ein bedeutender möglicher Mobilisierungseffekt für reaktionäre und faschistische Bewegungen. Früher war Mensch, wenn schon ein Taugenichts dann doch zumindest ein Deutscher. Das dies in der Gesellschaft heute offenbar weit weniger von Rang ist löst bei einem Teil der sogenannten "Modernisierungsverlierer", vor allem im Osten Deutschlands, eine Rückwendung zu Völkischen Identifikationsmustern aus. Die Provinzialität Ostdeutscher Plattenbausiedlungen und das Internet sind zwei auseinanderstrebende Extreme der heutigen deutschen Wirklichkeit.
Der autoritäre Sozialismus - Die Reaktionären Ausgeburten des Militarismus und der Obrigkeitshörigkeit, sowie die völlig unzureichende Auseinandersetzung mit dem Ausbruch menschlicher Barbarei im Hitler-Faschismus, verbanden die beiden Teile Deutschlands auch in den Zeiten des kalten Krieges. Erschwerend kommt noch besonders im Osten die traditionelle, relative Rückständigkeit der deutschen Arbeiterbewegung hinzu. Diese verkörperte sich in aller Deutlichkeit in der Herrschaft der marxistisch-leninistischen SED-Partei. Spießertum, Duckmäusertum und Autoritätshörigkeit sind aufgrund ihrer Herrschaft in der ehemaligen DDR noch stärker ausgeprägt als im Westen.
Die Autoritäre Tendenz in der Internationalen Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung hat eine lange Geschichte. Karl-Marx, ein Couragierter Intellektueller und Friedrich Engels, ein sozial engagierter Fabrikant waren die Begründer der Kleinbürgerlichen Richtung innerhalb des Sozialismus die sich später als Herrschaft der Bürokratie in Osteuropa manifestierte. Als exemplarisch für ihre Autoritären Ansichten kann die Forderung aus ihrem "Kommunistischen Manifest" nach der Schaffung von Arbeitsarmeen gesehen werden. Die gemeinsame freie Arbeit, in der sich - wie die spanische und ukrainische Revolution gezeigt haben - die schöpferischen und solidarischen Kräfte der Menschen in ungeahnter weise entfalten können sollte militarisiert werden. Die wichtigste Tätigkeit des Menschen in einer freieren Gesellschaft sollte nach dem Willen von Marx, von oben nach unten, nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam organisiert werden. Mit ihrem gescheiterten Putsch gegen die Internationale Arbeiter Assoziation in Den Haag versuchten Marx und Engels dieses Prinzip auch auf die sozialistische Bewegung anzuwenden. Die Organisationen der Internationale sollten durch dieses Manöver ihrer Autonomie beraubt und der Befehlsgewalt des - von Marx und Engels geleiteten - Generalrates unterstellt werden. Ferner sollte hier die Eroberung der "Politischen Macht" als Ziel allen Arbeiterorganisationen vorgeschrieben werden. Von allen bedeutenden Sektionen der Internationale waren es bezeichnender Weise einzig und alleine die deutschen Sozialdemokraten welche das Vorhaben der Marxisten - oder wie sie damals richtig genannt wurden - der autoritären Sozialisten, unterstützten.
Bekanntlich war es Lenin der dem Marxismus mit brutalen Methoden zu staatlicher Souveränität verhalf. Seine Tragik war es Mitansehen zu müssen, wie die von ihm auf diese Art selbst geschaffene Bürokratie, die Revolution für die er ein Leben lang gekämpft hatte verschlang. Er war ein großer Bewunderer der deutschen Tugenden von Disziplin und Pünktlichkeit. Für ihn hatte Sozialismus nach eigener Aussage mehr mit den Organisationsprinzipien der deutschen Eisenbahn und den amerikanischen Fließbandfabriken zu tun als mit der eigenständigen Initiative von Arbeitern. Mensch könnte in diesem Zusammenhang vom Marxismus-Leninismus auch als vom deutschen Sozialismus sprechen.
Lenin wollte schon 1918 das Hauptquartier der Weltrevolution so schnell wie möglich nach Berlin verlegen. Das deutsche Volk schien ihm für seine Art von Revolution erklärtermaßen wesentlich tauglicher als die undisziplinierten Russinnen und Russen. Während dieses Vorhaben glücklicherweise mißlang, waren Lenin und seine Anhänger in der kommunistischen Internationale ( "Komintern" ) höchst erfolgreich bei der bolschewisierung der linksradikalen Bewegung Deutschlands. In einer Bewegung der Arbeiter und Soldatenräte, der direkten Demokratie und der spontanen Empörung bildete sich die KPD. Aus ihr wurden nicht nur die AnhängerInnen der antiautoritären Arbeiterunionen hinnausgedrängt, man verwandelte sie in eine zentralistische, parlamentarische und autoritäre Partei. Einer derjenigen, die die Partei auf Grund dieser Entwicklung verließen, war der außerordentliche Marxist Otto Rühle. Er und Liebknecht, hatten als einzige SPD-Reichstagsabgeordnete, 1914 unter Bruch der Parteidisziplin gegen die Kriegskredite gestimmt. Rühle war es, der in den 20er Jahren als einer der Ersten darauf hinwies, das es das miefige und autoritäre Klima innerhalb der deutschen Arbeiterfamilien selbst, und der daraus resultierende autoritäre Geist waren, die den Hauptgrund für das scheitern der Revolution 1918/19 bildeten. Dies und die von der Komintern betriebene Bürokratisierung der kommunistischen Bewegung, waren in seinen Augen die Hauptursache für den Erfolg autoritärer Systeme. Dies drückte Rühle - einer der Mitbegründer der KPD - in seinem gerne mißinterpretierten Satz aus: "Bolschewismus führt zum Faschismus".
Nach dem Ende der faschistischen Schreckensherrschaft, die mit dem Holocaust eines der schwärzesten Kapitel der Menschheitsgeschichte geschrieben hat, waren es die aus dem russischen Exil heimkehrenden Führer der KPD, die im Osten Deutschlands an die Macht kamen. Sie waren nicht nur durch die Kasernenhofdisziplin der Komintern geprägt, sie hatten zudem die stalinistischen Säuberungen mitgemacht. Sie hatten zugesehen wie ihre eigenen Genossen und Genossinnen - geflohene Kommunisten wie sie selbst - im Zuge des Hitler-Stalin Paktes von Moskau an die Gestapo ausgeliefert worden waren. Sie waren aufgestiegen in der Parteihierarchie, in einer Zeit als es nicht ausreichte zu schweigen um das eigene Leben zu schützen. 1936 als die Lautsprecher in den Straßen Leningrads forderten: "die trotzkistischen Verräter auszurotten", als hunderttausende umkamen und verschwanden, war jeder aufgefordert, aus Treue zur Partei die eigenen Kollegen zu denunzieren. In vollkommenem Gegensatz zu den Tausenden von KommunistInnen, die in Deutschland unter schwersten Bedingungen im antifaschistischen Widerstand tätig waren, muß die aus dem sowjetischen Exil heimkehrende Gruppe um Pieck und Ullbricht als Sammlung der Schwächsten Charaktere innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung angesehen werden. Und genau diese waren es dann die daran gingen ihren "deutschen" Sozialismus in der DDR zu verwirklichen.
Die Wirtschaftsbetriebe in der DDR gehörten dem Staat. Eine zentrale Planung bestimmte von oben nach unten über die Produktion und verfügte über die Beschäftigten. Oft hatten die Menschen nicht einmal die Möglichkeit sich ihren Beruf selbst zu wählen. Andererseits war es Staatsziel die Versorgung und Ausbildung seiner Bürger sicherzustellen. Auf politischer Ebene herrschte die Diktatur einer Bonzenclique mitsamt Zentralkomitee und Parteiapparat. Möglichkeiten für direkte Einflußnahme der einfachen Menschen auf die Politik gab es kaum. Eine freie Presse und öffentliche kontroverse Debatten, freie Wahlen, unabhängige Bürgerinitiativen und überhaupt eine Kultur des Kritischen Denkens waren nicht vorhanden. Mensch war entmündigt aber versorgt. (Der Wunschtraum des Westdeutschen Sozialarbeiters.) Sozialdemokraten und Libertäre SozialistInnen, die im antifaschistischen Widerstand Aktiv gewesen waren und versuchten nach 45 einen anderen, demokratischeren Sozialismus in Ostdeutschland zu verwirklichen, wurden grausam verfolgt. Alle kritischen und damit viele schöpferischen und erneuernden Kräfte wurden unterdrückt. Dies bildet, gemeinsam mit der grausamen Tradition des Faschismus, den besten Nährboden für provinzielles, engstirniges und reaktionäres Denken.
Und das allgemeine Gefühl der Menschen im Osten heute, von der weltoffeneren, weniger autoritären, demokratischen und multikulturellen westdeutschen Gesellschaft vernachlässigt und ausverkauft zu werden, fördert dort deshalb die Opposition gegen diese Werte. Und als Gegenbewegung erleben wir dort die Rückkehr zu alten autoritären Verhaltensweisen und Denkmustern.
Nazis No Way! - Während für einige Sektoren der deutschen Bevölkerung die Faschisten an Anziehungskraft gewinnen, nimmt ihr Einfluß gesammtgesellschaftlich zur Zeit stark ab. Auf einem ihrer wichtigsten Aktionsfelder, dem Kampf um die Straße, haben die Nazis in Westdeutschland weitgehend versagt. Rechtsradikale Milieus mit festen Anlaufpunkten gibt es etwa in der Hamburger Region nur in Dörfern wie Tostedt oder abgelegenen Stadtteilen wie Bramfeld. Einziger öffentlicher Anlaufpunkt mit Bekanntheitsgrad, war für rechtsradikale Jugendliche aus ganz Norddeutschland der popelige "Club 88" in der Kleinstadt Neumünster. Die Jugendkultur ist insgesamt einer der am stärksten multikulturell geprägten Teile der Gesellschaft. Gerade in den proletarischen Stadtteilen hat sich eine internationale Normalität entwickelt. Diese Kultur ist alles andere als idyllisch. Wie heutzutage üblich kämpft nahezu jeder gegen jeden. Aber die Jugendlichen AlbanerInnen, TürkInnen, Deutschen, Serben und Kurden kennen sich meist schon aus dem Kindergarten und betrachten daher die Anwesenheit der jeweils anderen zumindest als vollkommen normal! Die Idole der deutschen Jugendlichen aus diesen Milieus sind oft schwarze Hip-hopper und es gilt in ihre Kreisen als nicht unförderlich, zumindest einige türkische Schimpfwörter zu beherrschen. Die jugendlichen Einwanderer stehen ihren deutschen Altersgenossen in Aggressivität nicht nach und lassen sich nichts gefallen, schon gar nicht von dummen Nazis. Die Stadtteile, aus denen sich Anfang der 80er Jahre die rechte Jugend- und Skinheadoffensive entwickelte, sind damit heute für die Nazis teilweise zu "No go - Areas" geworden oder sie haben dort zumindest einen schweren Stand. Dies ist für die Nazis eine ziemlich fatale Situation. Sie können zwar z.B. in einem Stadtteil wie Hamburg-Willhelmsburg bei unzufriedenen Deutschen Wählerstimmen holen. Aber sie können mit den Rentnern, Alkoholikern und Familienvätern keine SA aufmachen. Sie können nicht die für faschistische Bewegungen so typischen und erforderlichen kriegerisch, militärischen Rituale und Zusammen(ge)hörigkeitsgefühle erzeugen. Es ist ihnen in den Westdeutschen Metropolen in der Regel nicht möglich dauerhaft den öffentlichen Raum zu besetzen. Was ihnen hier bleibt, sind gelegentliche, nur unter Polizeischutz durchführbare Aufmärsche, heimliche Konzerte und terroristische Anschläge.
Alles zusammengenommen ergibt sich folgendes Bild: Die Zeiten, da sich die Nazis als verlängerter Arm des deutschen Volkes und der deutschen Nation empfinden konnten, sind vorbei! Schon deshalb weil sich die Begriffe Volk und Nation im Bewußtsein der meisten Menschen von Völkischen Definitionen lösen und noch nicht wieder neu Formatiert sind. Die ureigensten Projekte der Nazis "Deutschland" und die "Deutsche Rasse" als klar umrissene, definierte Dinge lösen sich auf oder verändern sich. Eine eigene deutsche Volkskultur gibt es schon lange nicht mehr. Was es gibt sind "MTV" und die "United Colors of Benetton". Deutschland als nationales, völkisches Projekt im alten Sinne ist heute nur noch für Minderheiten - die aber wie im Osten durchaus Millionen von Menschen umfassen können - überhaupt interessant. Daher die Gereiztheit und die augenblickliche Wut der Nazis. Früher konnten sie sich als Vollstrecker des Volkswillens betrachten. Heute haben sie die "schweigende Mehrheit" gegen sich. Diejenigen nämlich die ihre Interessen mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland verbunden sehen. Die Nazis merken das sie ins gesellschaftliche Abseits geraten und versuchen sich mit aller Kraft dagegen zu wehren. Nervosität und Haß bei den Rechten werden noch verstärkt durch die aktuellen gesellschaftlichen Reaktionen. Während in der Vergangenheit die Kampagnen der Rechten dazu führten, das Positionen der Nazis übernommen und sogar Gesetz wurden - etwa beim Asylrecht - erleben wir heute das Gegenteil!
Die übergriffe der Nazis, insbesondere die regelrechte Welle von Mordanschlägen lösten eine bis dahin unbekannte Antifaschistische Mobilisierung aller gesellschaftlicher Kräfte aus. Deutschland muß attraktiv sein, also unbedingt auch sicher. Die Multikulturalität ist durchaus eine der angenehmeren Seiten der Moderne, aber auch ein Standortfaktor. Hierfür soll jetzt die gesamte Gesellschaft mobil gemacht werden. Und wir, alle irgendwie fortschrittlichen Menschen, sind zur Zeit Teil dieser Mobilisierung.
Die Medien überbieten sich gegenseitig mit immer neuen Berichten über Neo-Nazis. Gerade die reaktionären und konservativen Boulevardblätter schüren die Stimmung: : "Raus mit dem braunen Dreck" fordert etwa die Bildzeitung und fragt unter den Bildern ermordeter Naziopfer: "Wer wird der nächste sein?". Eine Suggestivmethode die von dieser Seite sonst nur gegen Linke eingesetzt wurde. Auch die anderen Zeitungen und Fernsehsender sparen nicht mit eindeutigen Kommentaren und Verurteilungen. Ausführlich wird sowohl über die Nazis als auch über alle antifaschistischen Aktivitäten berichtet. Universitäten und wissenschaftliche Institute werten die rassistischen Attacken als Katastrophal für ihre Arbeit. Zunehmend werden Einladungen an ausländische Wissenschaftler, von diesen mit Hinweis auf den grassierenden Rechtsextremismus abgelehnt. Bemerkenswert sind die, offenbar ernstgemeinten Aufforderungen des Unternehmerverbandes an seine Mitglieder, aktiv gegen Nazis unter den eigene Beschäftigten vorzugehen. Führende deutsche Firmen kündigten inzwischen an, Zulieferer bei der Auftragsvergabe nicht mehr zu berücksichtigen, wenn sie sich nicht an dem Entschädigungsfond für ehemalige Zwangsarbeiter Beteiligen. Die deutsche Bank und die Postbank begannen damit die Konten der NPD zu kündigen und zwar ausdrücklich aus politischen Gründen um damit ein "demokratisches Zeichen" zu setzen. Die Wirtschaftsleistung der EinwandererInnen wird endlich öffentlich anerkannt, insbesondere das sie erhebliche Leistungen in die Sozialversicherungskassen einbringen. Die Bildzeitung meldet auf einmal sogar, das das Arbeitsverbot für Asylbewerber, aufgrund von dessen "plötzlich erkannter" Unmenschlichkeit aufgehoben werden soll. Auch das direkte Auftreten der Staatsgewalt gegenüber den Nazis hat sich verändert. öfter als früher werden Nazikundgebungen verboten oder mit allen, im rechtsstaatlichen und demokratischen Rahmen möglichen Mitteln behindert. Jüngstes Beispiel dafür sind die gescheiterten Naziaktionen in Hamburg. Vor 10 Jahren noch prügelte eine Polizeiarmee Tausende von autonomen durch die Hamburger Straßen um einer Gruppe von 20 Neonasen den Weg um die Moorweide freizumachen. Heute nimmt eine nicht weniger gut ausgerüstete Polizei, die Blockade einiger hundert militanter AntifaschistInnen zum Vorwand um die Nazimaschierer umgehend in ihre Busse zurück zu verfrachten und den Spuk zu beenden. Der Wille zum Verbot der NPD ist allgemein. Als erstes wurde diese Forderung von der CSU und ihrem Innenminister Beckstein erhoben und inzwischen wird eigentlich nur noch darüber diskutiert wie es am besten zu bewerkstelligen sei.
Aber auch an der Basis gibt es Bewegung. Sportvereine, Schulen und Gemeinden bilden Projekte gegen Rechts. In Süddeutschland gingen mehrere tausend Menschen aus Protest gegen einen rassistischen Brandanschlag auf die Straße. Es ist eine Debatte in Gang gekommen über Zivilcourage und Eingreifen statt wegsehen, die sich an jeden richtet. Und Dies ist die wichtigste aktuelle Entwicklung! Sie zielt viel tiefer als die Verbotsdiskussion um die NPD. Viele Menschen fangen an sich Gedanken zu machen und sie ziehen auch Konsequenzen. Dies zeigt sich in der jüngsten Zeit, im vermehrten eingreifen von Passanten auf der Straße gegen Rassistische übergriffe.
Es wäre falsch die gegenwärtigen Vorgänge in ihrer Gesamtheit, als den Beginn einer ganz neuen menschlicheren Entwicklung zu deuten. Ebenso falsch ist es sie als reine Heuchelei zu verdammen. Die Empörung über das Unrecht welches die Opfer der Faschistischen Anschläge erleiden ist kein Privileg der radikalen Linken. Jeder Mensch kann es empfinden und braucht sich dafür weder in irgendeiner Szene zu bewegen, noch Zeitschriften mit Skurrilen Titeln zu lesen. Zur Zeit scheinen zumindest eine menge Menschen aufzuwachen, und eine bislang geltende rassistische Normalität zu hinterfragen. Dies ist ein Ansatzpunkt.